Nichts ist von größerer Weite als die leeren Dinge.

                                 Francis Bacon

  

DA UND DORT

 

Das Kind läuft aufwärts gegen die abwärts fahrende Rolltreppe. Für einen Augenblick heben sich beide Bewegungen gegenseitig auf.

 

Gering ist der Platz im Haus. Die Großmutter schläft immer öfter im Zimmer der ältesten Tochter.  Das Schnarchen der alten Frau lässt die Tochter nicht schlafen. Sie legt sich in die Küche auf die Bank. Manchmal steht die alte Frau um drei Uhr am Morgen auf und macht sich in der Küche eine Eierspeise. Überhaupt beginnt sie früh am Morgen in der Küche Lärm zu machen und niemand im Haus findet ausreichend Schlaf.

 

Beim Heben der Weinflasche bleibt ein feuchter Ring auf der Tischplatte. Er überlegt, ob er ihn wegwischen oder als Spur am Tisch lassen soll.

 

Draußen, auf der Straße, das Durcheinanderrufen heimkehrender Kinder. Ihre Schultaschen wirken zu ihren Körpern überdimensional groß.

 

Der leere Schrank verströmt den Geruch der früheren Dinge.  Seine mitgebrachten Sachen lässt er in der Reisetasche.

 

In der Badewanne liegen immer ein paar Haare, auch wenn niemand darin gebadet hat.

 

Eine unbeschriebene, alte Ansichtskarte steckt zwischen den Tellern in der Kredenz.

 

Auf einer Steinplatte in der Wiese liegt ein Hundeembryo. Still liegt er da. Sein dünner Körper ist mit einem silbern grauen Fell überzogen. Als spüre das Tier seine Anwesenheit, ringt es mit seinen Beinen, als suche es nach einer Berührung oder einem Halt. Es ist ein erbärmliches Bild und er hat nicht die Kraft oder den Mut einzugreifen, obwohl er weiß, dass er es töten sollte. Eine Katze kommt vorbei und schnuppert gleichgültig an dem Fötus. Nach einer Stunde kommt er nochmals zu der Stelle. Das Tier hat seine Lage ein wenig verändert. Die Bewegungen seiner Beine sind schwächer geworden.

 

Im Traum sind mir Menschen untergekommen, sagt sie, denen will ich am Tag nicht begegnen.

 

Sie sagt, er trug immer einen Hut. Im Sommer gegen die Sonne, im Winter gegen die Kälte und die restliche Zeit gegen den Regen.

Früher standen in den Höfen Teppichstangen.

 

Beim Heben der Kaffeetasse zittert der Großmutter die Hand. Ein wenig schwappt über.

 

So realistisch geträumt, dass er im Traum dachte, dies müsse ein Traum sein.

 

Der Lack des dunklen, breiten Holzrahmens des Gemäldes mit Maria und dem Kind hat feine Risse bekommen.

 

Die Tagesdecke liegt so plan am Ehebett, als hätte man sie seit Jahren nicht mehr weggenommen.

 

Meine Füße werden dicker, sagt sie, besonders der rechte. Was sie nicht ganz verstehe. Das käme doch vom Herzen. Müsste dann nicht der linke dicker sein?

 

Er geht von einem Fenster durch die Zimmer zum Fenster auf der anderen Seite des Hauses.

 

Die Ortsstraßen  sind die gleichen geblieben. Aber heute sehen sie anders aus.

 

Aus einem offenen Fenster der Volksschule gleiten gleichzeitig mehrere Papierflieger hinaus.  Anschließend tauchen die Köpfe der Kinder am Fenster auf und sie beobachten die Bahnen ihrer selbst gefalteten Flugkörper.

 

Als er sein altes Zimmer betrat, umfängt ihn der bekannte, noch immer gleiche Geruch.

 

Das Geäst des Unterholzes kratzt an seinem Kopf. Als sein Körper noch jünger und  geschmeidiger war, hatte er im Dickicht der Böschung keine Widerstände zu überwinden. Zwischen den Ästen hindurch sieht er auf der Straße die Alte langsam vorbei schlurfen. Es fällt ihr immer schwerer die Füße zu heben. Was ihm damals als unendlicher Wald erschien, ist in Wirklichkeit eine schmale bewachsene Böschung entlang der schmalen Straße. Damals war es eine Schutzzone gegen das Außen. Wir essen in einer Stunde, hört er sie rufen. Und für einen Moment ist er unsicher, ob er diesen gewohnten Satz in seinem Inneren gehört oder die Alte ihn gerade wirklich vom Haus her gerufen hat.

 

In der schmalen, staubbedeckten  Glasvitrine lehnt ein vergessenes Foto. Es zeigt die Szene eines Films. Die Farben sind völlig ausgeblichen. An der Mauer des ehemaligen Kinosaals die spärlichen Reste eines Zirkusplakats. Dort, wo das Plakat die Fläche einnahm, ist auch der Verputz etwas abgebröckelt.

 

Nicht die Akrobatik der Trapezkünstlerin oder die angsteinflößenden Gefahrenmomente der Attraktion machten bei dem Jungen den bleibenden Eindruck aus, sondern ein Detail ihrer schwarzen Stümpfe. Jenes Kleidungsstück, das bisher unter langen Röcken der Sichtbarkeit des Jungen entzogen war, wurde in schwindelnder Höhe sichtbare Wahrheit. Und das verblüffende Detail befand sich auf der Rückseite der Beine. Die lange Naht erschien ihm als Beschädigung. Sie war für ihn ein Makel, der den Jungen gleichermaßen erstaunte und enttäuschte. Dieser Makel stand einer phantasierten Reinheit im Wege, die aus einer ihm unbekannten inneren Tiefe kam.

 

Das Kind streitet mit der Mutter. Keiner hat Recht und keiner lässt locker.

 

Die Tochter hält die Großmutter umarmt. Sie hat ihr vorher geholfen von der Bank aufzustehen.

 

Neben dem Badezimmerspiegel hängt ein Sack mit Plastiklockenwicklern in verschiedenen Farben. Vereinzelt haben sich Haare darin verfangen.

 

Aus dem Radio erklingt Volksmusik des Regionalsenders. Der Sender rauscht. Er versucht ihn besser einzustellen, aber das Rauschen wird stärker. Die ursprüngliche Position findet er nicht mehr.

 

Die meiste Zeit liegen ihre gefalteten Hände in ihrem Schoß.

 

Das Kind ist über seine Hausübung gebeugt.
Was heißt das? fragt es.
Das ist das Omega, der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet, sagt er.
Sieht aus wie ein Springseil.

 

Im Schrank, neben dem fein säuberlich zusammengelegten Bettbezug liegt ein getrocknetes Büschel Lavendel. Es ist mit einem Stoffband zusammengebunden. Die meisten Blüten liegen abgefallen am dunklen Holz. Schlussendlich kann man nichts mitnehmen, sagt sie.

 

Die Großmutter füllt die Feueröffnung des Küchenherds mit Zeitungspapier und etwas Holz.

 

Was man im Leben verpasst ist das Leben, sagt die Alte.

 

Beim Heben der Kaffeetasse zittern der Großmutter die Hände. Jedes Mal schwappt ein wenig mehr über. Trotzdem macht sie die Tasse immer gleich voll. Auf dem Resopal der Tischplatte wirkt der Milchkaffee noch heller.

 

Sie sitzen am Tisch und alle wissen, dass sie darüber reden sollten. Aber keiner will anfangen.

 

In der Nacht lauscht er dem feinen Trommeln der Regentropfen auf den Dachschindeln und auf das Klopfen der windbewegten Äste auf der Fensterscheibe.

 

In der Gastwirtschaft stößt die Kellnerin mit den schmutzigen Tellern auf den Armen die Pendeltür zur Küche auf. Für einen kurzen Moment sieht man den Koch auf der Arbeitsfläche sitzend eine Zigarette rauchen.

 

So lange schweigen, bis alles von selbst klar ist.

 

Man müsste noch zu Lebzeiten alles über sich selbst loswerden.

 

Die Wartenden schauen alle zu der Ecke, um die der Bus kommen soll.

 

 

 

 

 

 

 

Da und dort